Aus dem Sanella-Album Australien Neuseeland

=========================================

Seite 21

Sie glauben, der Geist des Mörders besuche das Grab und hinterließe manchmal Spuren, an denen man ihn erkennen könne. Und dann müsse der Tote gerächt werden!" Den Weißen gehen die Eingeborenen aus dem Weg. Und sie haben auch in den letzten zweihundert Jahren keine guten Erfahrungen mit ihnen gemacht. Die Weißen nahmen ihnen die besten Wasserlöcher und Jagdgebiete weg, und wenn sich die Eingeborenen wehrten, dann wurden sie erbarmungslos niedergemacht. Inzwischen ist das anders geworden, denn die Australneger haben Gebiete zugewiesen bekommen, in denen die Weißen nicht jagen und auch kein Vieh halten dürfen. Aber die Eingeborenen sind mißtrauisch geblieben. Wir reiten heim. Wir haben uns ziemlich weit von der Station entfernt und müssen scharf reiten, um nicht zu spät in der Nacht nach Hause zu kommen. - Es ist schon dunkel geworden und auch etwas kühler. Am Himmel strahlt das Kreuz des Südens. Vater Werneburg erzählt uns die Sage vom Kreuz des Südens. Er hat sie von einem alten Eingeborenen gehört, den er mal bei seinen Streifzügen ins Innere traf.

.

Wie das Kreuz des Südens entstand...

"Bei der Erschaffung der Erde schuf Gott zwei Männer und eine Frau und befahl ihnen, sich von Pflanzen zu ernähren. Aber eine große Dürre kam und alle Pflanzen verdorrten. Da erlegten sie ein Känguruh und aßen es. Aber einer der beiden Männer weigerte sich von dem Fleisch zu essen und ging fort. Hunger und Durst schwächte ihn, und schließlich brach er unter einem großen Eukalyptusbaum zusammen. Da öffnete sich der Baum, und heraus kam ein Geist mit glühenden Augen. Der ergriff den Mann und nahm ihn mit in den Baum hinein. Und dann fuhr der Baum mit dem Geist und dem geretteten Mann hinauf in den Himmel, verfolgt von den wütenden Kakadus, die ihren Baum behalten wollten. Aber der Baum flog schneller und verschwand in den Wolken! Und seitdem schauen die glühenden Augen des Geistes und des Mannes, der kein Känguruhfleisch essen wollte, als Kreuz des Südens vom Himmel herab. Und die beiden weißen Kakadus - die schließlich doch noch ihr Ziel erreichten - sitzen zu beiden Seiten, als Arme des Kreuzes!" Vater Werneburg hat sein Pferd angehalten. Vor uns liegt ein Wasserloch mit hohen Bäumen und dichtem Gras.

.

Anscheinend hat Klaus' Vater etwas bemerkt, denn er legt seine Hände an den Mund und ruft etwas in die Dunkelheit hinein. Aus dem Schatten löst sich langsam ein Mensch - ein kleiner, schlanker Eingeborener. Er trägt einen Speer in der einen und einen Bumerang in der anderen Hand. Vater Werneburg steigt von seinem Pferd und unterhält sich mit dem Mann, der gar nicht aussieht wie ein Neger - nur die Nasenflügel sind sehr breit. Anscheinend kennen sich die beiden, denn der Eingeborene ist gar nicht scheu. Er lacht und schaut zu uns herüber. Auch wir sitzen ab. Vater Werneburg nennt unsere Namen. Immer wieder hören wir "Korrobori", und dann deutet Vater Werneburg immer auf Klaus und mich. Der Eingeborene scheint irgendwie unschlüssig zu sein. Dann stößt er einen langgezogenen Schrei aus. Dabei klopft er mit seinem Bumerang an einen Baumstamm. Ein zweiter Eingeborener steht plötzlich vor uns. Er ist viel älter als der erste. Sein Bart ist grau-auch das Kopfhaar, das ihm bis auf die Schultern reicht. Mir ist ein bißchen unheimlich zumute, denn der Mann kam völlig lautlos - kein Schritt war zu hören, kein Zweig knackte! Der Alte trägt eine schmale Schnur aus Menschenhaar um seine Lenden. Auch die Halskette, an der ein Känguruhknochen hängt, ist aus Haar. Sein Körper ist über und über mit Ziernarben bedeckt. Der Jüngere redet lebhaft und mit vielen Handbewegungen auf den Alten ein. Der sagt kein Wort, schaut nur ab und zu Vater Werneburg, Klaus und mich an. Dann senkt er plötzlich den Kopf und beginnt zu reden, schnell und ohne Pause - es klingt wie ein Platzregen auf einem Wellblechdach. Eine kurze energische Handbewegung des Älteren, die beiden Eingeborenen stehen auf - und blitzschnell sind sie seitlich im Busch verschwunden. Vater Werneburg lacht, als er unsere verdutzten Gesichter sieht. "Ihr habt Glück. Wenn alles klappt, könnt ihr ein paar Tage lang an einer ,Korrobori' teilnehmen, einem Fest der Eingeborenen. Ganz selten hat ein Weißer Gelegenheit, bei einem wilden Stamm so eine Korrobori, bei der es toll hergeht, mitzumachen. Die Eingeborenen sind nette und umgängliche Leute, wenn man sie gut behandelt und ihre Sitten achtet. Aber alles, was mit ihrer Religion und ihrem Zauber zu tun hat - und dazu gehört auch die Korrobori -, halten sie streng geheim. Deshalb wissen wir Weißen auch so wenig davon." In zwei Tagen sollen wir morgens wieder hier an dem Wasserloch sein. Der Alte will noch mit den anderen Hordenältesten beraten - und wenn wir kommen können, dann wird uns ein Bote erwarten.

..

 Bildrückseite 23